IGEB/DBV
Die Berliner Ringbahn im Wettbewerb
SIGNAL-Interview mit Dipl.-Ing. Hans Leister, Geschäftsführer
der Connex Regio-bahn GmbH.
SIGNAL: Herr Leister, die Connex Regiobahn hat ein Angebot für
den S-Bahn-Verkehr auf der Berliner Ringbahn erarbeitet. Wem haben Sie
dieses Angebot unterbreitet?
Leister: Connex hat das Angebot für den Verkehr auf der
Ringbahn am 20.12.2002 dem Senator für Stadtentwicklung zugeleitet.
SIGNAL: Was hat Sie zur Angebotsabgabe veranlasst?
Leister: Connex ist in einigen großen Städten auf
der Welt im ÖPNV tätig, so in Stockholm mit der U-Bahn, die wir
dort sehr erfolgreich betreiben, in Melbourne mit einem Teil des S-Bahn-Netzes
und bald in Boston mit einem der größten Schnellbahnsysteme
in Nordamerika. In Deutschland muss der SPNV, also auch der S-Bahn-Verkehr
in Berlin, in Zukunft grundsätzlich im Wettbewerb vergeben werden;
freihändige Vergaben sind nur in einer Übergangszeit noch möglich.
Da lag es nahe, dem Senat ein kreatives Angebot für einen Teil des
S-Bahn-Netzes zu machen.
SIGNAL: Stellen Sie bitte Ihr Unternehmen kurz vor.
Leister: Connex ist die Verkehrssparte der Gruppe Vivendi Environnenment,
die seit rund 150 Jahren kommunale und industrielle Dienstleistungen in
den Bereichen Wasserversorgung, Energieverteilung, Abfallwirtschaft und
Verkehr erbringt. In Deutschland ist Connex das größte private
Verkehrsunternehmen; bisher dominieren hierzulande allerdings noch die
staatlichen Unternehmen. Das Mediengeschäft von Vivendi Universal,
das in Berlin und Brandenburg durch Universal Music und den Babelsberger
Filmstudios ebenfalls große Bedeutung hat, ist von Vivendi Environnement
inzwischen getrennt.
SIGNAL: Wo innerhalb des VBB-Gebietes sind Sie bisher beauftragt?
Leister: In Berlin und Brandenburg sind wir mit der Industriebahn
Berlin, der Niederbarnimer Eisenbahn als Infrastrukturbetreiber der „Heidekrautbahn“,
mit der Schöneiche-Rüdersdorfer Straßenbahn, mit der Lausitzbahn
im SPNV Cottbus – Görlitz – Zittau und mit den Interconnex-Zügen
der Ostmecklenburgischen Eisenbahn vertreten.
SIGNAL: Hat Connex in Deutschland Erfahrungen mit Betrieb
von S-Bahnen?
Leister: Ja, auch in Deutschland mit der Rheinisch-Bergischen
Eisenbahn, die die S-Bahn-Linie S 28 Kaarst – Düsseldorf – Mettmann
mit spurtstarken Dieseltriebzügen im Auftrag der Regiobahn betreibt.
Diese Linie ist voll in das Düsseldorfer S-Bahn-Netz integriert und
fährt zwischen Neuss und Düsseldorf Gerresheim mit etlichen anderen
elektrischen S-Bahn-Linien auf demselben Gleis.
SIGNAL: Warum haben Sie für Ihr Angebot ausgerechnet die
Ringbahn ausgewählt?
Leister: Die Ringbahn ist derzeit am meisten vernachlässigt.
Die großen stadtentwicklungspolitischen Chancen, die die Ringbahn
bietet, werden vernachlässigt, weil die Ringbahn nicht für sich
betrieben wird, sondern als Teil der Radiallinien betrieben wird. Historisch
war die S-Bahn ein Netz der Stadt-, Ring- und Vorortbahnen; damals wurde
der Ring ganz selbstverständlich als etwas Besonderes dargestellt.
SIGNAL: Ihr Konzept sieht einen Vollringverkehr auf dem
Ring vor, bei dem die Züge für eine Umrundung genau eine Stunde
benötigen, während die Züge der S-Bahn Berlin GmbH heute
63 Minuten benötigen. Wie wollen Sie das schaffen?
Leister: Höhere Beschleunigung und bessere Bremswerte durch
Fahrzeuge mit Allrad-Antrieb ermöglichen eine Verkürzung der
Fahrzeit.
SIGNAL: Sie schlagen vor, dass abschnittsweise die Züge
der S-Bahn Berlin GmbH, die von Schöneweide und Pankow kommen, künftig
weiterhin auf dem Ring fahren könnten. Werden Sie damit nicht genau
dieselben Probleme bei der Fahrplaneinhaltung und Pünktlichkeit bekommen,
wie sie heute die S-Bahn Berlin GmbH schon hat?
Leister: Das Grundgerüst der Ringbahn-Züge ist damit
hoffentlich trotzdem pünktlicher zu bekommen. Ein völlig losgelöster
Ringbahn-Verkehr wäre sicher noch pünktlicher, aber entspricht
nicht den Kundenerwartungen, die zum Beispiel von Schöneweide direkt
auf den Südring fahren wollen.
SIGNAL: Ihr Konzept geht von der Existenz der Neubaustrecken
vom Nordring zum so genannten Hauptbahnhof-Lehrter Bahnhof aus. Nach IGEB-Informationen
werden diese jedoch erst ungefähr 2009/2010 zur Verfügung stehen.
Ist damit Ihr Fahrplankonzept für 2006 gefährdet?
Leister: Nein, diese Züge sind zwar in unserem Programm
enthalten, können aber auch als Verstärkerzüge nur auf dem
Ring fahren oder ganz entfallen.
SIGNAL: Die DB AG will die historischen Gebäude des
ehemaligen S-Bahn-Betriebswerks Papestraße abreißen, sie aber
wollen diese erhalten und nutzen. Welche Pläne haben sie?
Leister: Das S-Bw Papestraße ist hervorragend für
den Ringbahn-Verkehr geeignet. Dort können auch immer Züge „einspringen“,
wenn Störungen auftreten. Ein Abriss wäre ein großer Fehler;
unsere Vorväter haben hier sehr weise bei der Anlage dieser Betriebsstätte
gehandelt.
SIGNAL: DB Regio AG spart auf immer mehr Strecken die Zugbegleiter
ein. Sie aber wollen nun in jedem Vollringzug einen Zugbegleiter mitfahren
lassen. Was sind deren Aufgaben? Ist das finanzierbar?
Leister: Kundenbetreuung ist für uns nicht nur ein Kostenfaktor,
sondern ein wesentliches Mittel, eine andere Atmosphäre im Zug zu
erreichen, somit mehr Fahrgäste zu gewinnen und Vandalismus zu vermeiden,
also auch wieder die Erlöse zu steigern und Kosten zu senken. Es macht
keinen Sinn, die Kundenbetreuer einzusparen und dann Sicherheitspersonal
einzusetzen.
SIGNAL: Ersetzen die Zugbegleiter das aus IGEB-Sicht wichtige
Personal auf den Bahnsteigen?
Leister: Personal im Zug ist in jedem Fall wichtig. Das Personal
auf dem Bahnsteig dient heute ja nicht der Kundenbetreuung, sondern der
Zugabfertigung, dieses Personal ist in aller Regel von den Kunden gar nicht
ansprechbar. Das macht keinen Sinn.
SIGNAL: Wenn die Verkehrsleistungen auf dem Ring über
eine Ausschreibung vergeben werden, vergeht bis zu einem Zuschlag viel
Zeit. Bis wann bräuchten Sie eine Vergabeentscheidung, um bereits
2006 auf dem Ring fahren zu können?
Leister: Entscheidend ist die Lieferzeit der Fahrzeuge. Hier
müssen wir mit der Industrie noch verhandeln, was konkret machbar
ist.
SIGNAL: Die Übernahme des Verkehrs auf dem Ring erfordert
große Investitionen. Für wie viele Jahre müsste der Zuschlag
erteilt werden, damit Sie dieses Ausgaben verantworten können.
Leister: Die Investitionen sind notwendig für die Werksanlagen
und die Fahrzeuge. Diese Investitionen können auf Dauer nur in Berlin
und für Berlin genutzt werden. Wenn der Aufgabenträger Berlin
eine langfristige Weiternutzung dieser Ressourcen sichert, ist die Dauer
des Verkehrsvertrages zweitrangig.
SIGNAL: Wie wollen Sie Ihre Fahrgäste, und solche,
die es werden könnten, über Ihr Angebot informieren?
Leister: Marketing ist ein wesentliches Mittel, um die Ringbahn
wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken. Wir werden mit allen
Interessenten entlang der Ringbahn, also den Einkaufszentren, den Hotels
usw., eng zusammenarbeiten, um die Ringbahn herauszustellen. Ansonsten
soll die Ringbahn auch weiter ein integraler Bestandteil des Berliner ÖPNV-Netzes
sein, über das alle gemeinsam informieren. Hier sind wir trotz der
zeitweisen Ausgrenzung des Interconnex aus den Bahn-Informationsmedien
schon weiter, als manche wahrhaben wollen. So informiert zum Beispiel die
BVG ganz selbstverständlich auch über den Interconnex.
SIGNAL: Wohin kann man sich mit Beschwerden und Kritik
aber auch mit Anregungen wenden?
Leister: Wie überall bauen wir auch für die Ringbahn
ein Beschwerde-System auf und informieren auch den Aufgabenträger
transparent über Art und Zahl der Beschwerden bzw. der Anregungen.
Vor allem muss aber die Kundeninformation im Störungsfall dramatisch
besser werden, man darf die Fahrgäste nicht auch noch bewusst in Strecken
hineinfahren lassen, die gestört sind, in Berlin gibt es ja fast immer
gute Umfahrungsmöglichkeiten.
SIGNAL: Haben Sie noch weitere Projekte im S-Bahn- oder
sonstigen Bahnverkehr in Berlin vor?
Leister: Berlin ist ein wichtiger Aufkommenspunkt für Fernverkehr,
im Nahverkehr werden wir uns bei den hoffentlich bevorstehenden Ausschreibungen
bewerben.
SIGNAL: Was sind die größten Erwartungen Ihres
Unternehmens in der Bundeshauptstadt?
Leister: Durch die im Bundesvergleich relativ geringere Pkw-Benutzung
ist Berlin ein hervorragender ÖPNV-Markt und guter Markt im Fernverkehr,
allerdings ist der Qualitätsanspruch der Berliner auch sehr hoch.
So loben alle Touristen den guten Service der BVG, während die Berliner
mit Kritik nicht zurückhaltend sind. Für uns sind diese kritischen,
aber guten Kunden des Berliner Marktes eine Herausforderung.
Herr Leister, wir bedanken uns bei Ihnen und wünschen Ihnen sowie
den Fahrgästen mit Ihren Vorhaben den angemessenen Erfolg.
Das Interview führte Gerhard J. Curth